Die Konzepte für Lean Startups und Customer Development sind erschreckend einfach: da Startups sich damit befassen, neue Business-Modelle zu entdecken, brauchen sie neue, radikale Strukturen, Werkzeuge und Taktiken, um den Entdeckungsprozess zu optimieren. Einfach, oder? Ich habe aber beobachtet, dass – trotz der Beliebtheit der Bewegung und den gegenteiligen Behauptungen – erstaunlich wenige Unternehmer in der Lage sind, selbst die grundsätzlichsten Lean-Prinzipien anzuwenden.
Verglichen mit der schieren Anzahl an Startups gibt es einen enormen Mangel an erfahrenen Mentoren und Fallbeispielen. Ohne eine praktische Mentoren-Begleitung oder Unterstützung durch ein Lean Startup Netzwerk finden Unternehmer es schwierig, Monate und Jahre in die Prüfungs- und Entdeckungsphase zu investieren und greifen normalerweise auf alte Gewohnheiten zurück. Und, wie Eric Ries schon gesagt hat, ist Entdecken und Lernen anstrengende und frustrierende Arbeit, bei der Scheitern wesentlich häufiger vorkommt als Erfolg. Die meisten von uns würden lieber der Welt unsere fantastische und unbestätigte Idee verkaufen und die Aufmerksamkeit und Ressourcen von TechCrunch Artikeln und schnelle Risikokapitalfinanzierung erlangen. Aber in der nächsten Zeit werden Lean Startups einfacher werden, mit besseren Unterstützungssystemen und geschickterer finanzieller Unterstützung, um diese Herausforderungen zu meistern. Ich habe aber leider auch erkannt, dass die wirkliche Frustrationsquelle für Lean Startups schwieriger zu meistern sein wird: Wir sind nicht darauf ausgerichtet, schlank bzw. „lean“ zu denken.
Michael Shermer erklärt in seinem neuen Buch The Believing Brain: From Ghosts and Gods to Politics and Conspiracies – How We Construct Beliefs and Reinforce them as Truths, dass wir ein biologisches Denken entwickelt haben, welches definitiv nicht schlank oder „lean“ ist. Wir formen aus einer Vielzahl von subjektiven, persönlichen, emotionalen und psychologischen Gründen Überzeugungen, die in einem Kontext unserer Umgebung zu sehen sind. Diese werden durch Familie, Freunde, Kollegen, Kultur und die Gesellschaft im allgemeinen geprägt. Nachdem wir unsere Überzeugungen geformt haben, verteidigen, rechtfertigen und rationalisieren wir diese mit Hilfe einer Vielzahl von intellektuellen Erklärungen. Die Überzeugungen kommen zuerst, gefolgt von Erklärungen für die Überzeugungen. Ich nenne diesen Vorgang überzeugungsabhängigen Realismus. Unsere Wahrnehmung der Realität hängt von unseren Überzeugungen ab, die wir über sie haben. Zuerst glauben wir. Dann suchen wir nach einer Rechtfertigung. So funktioniert unser Verstand – also das Gegenteil von dem, was wir für eine effiziente Entdeckung benötigen.
Customer Discovery Interviews mit zukünftigen Kunden für ein neues Produkt oder eine neue Dienstleistung können oft zu irreführenden Ergebnissen führen. Wir wollen auf jeden Fall daran glauben, dass wir eine neue Geschäftsidee entdeckt haben und filtern die Daten dementsprechend. Wir stellen Fragen, die darauf ausgerichtet sind uns die Antwort zu geben, die wir hören wollen. Wir halten Antworten, die unsere Überzeugungen bestätigen, für wichtiger. Es ist auch nicht überraschend, dass wir eine schwache Kundenreaktion auf ein neues Produkt mit „die Leute sind gerade im Urlaub” rationalisieren, anstatt uns die wahrscheinlichere Möglichkeit einzugestehen, dass das Produkt beim Publikum einfach nicht gut angekommen ist. Dies ist der einfache Weg für unseren Verstand, und es ist sehr, sehr schwer der Verlockung von überzeugungsabhängigem Realismus zu widerstehen.
Für uns ist es besonders schwer, gegen diese Neigungen zu kämpfen, da so viel auf dem Spiel steht. Wir haben einige Monate (oder noch länger) investiert, um uns selbst, potentielle Kunden, Familie, Freunde, Berater und Investoren von uns und unseren Ideen zu überzeugen. Ist es also überraschend, dass wir Angst davor haben mit der Realität, dass wir falsch lagen, konfrontiert zu werden? Natürlich nicht. Wir wollen auf jeden Fall, dass unsere Annahmen richtig sind. Die Alternative ist einfach zu schmerzhaft. Ein Schmerz der übrigens immer stärker wird, je mehr Zeit und Geld wir in unsere Überzeugungen investieren. Leider ist überzeugungsabhängiger Realismus einer der größten Verschwendungsgründe im Unternehmertum, da es den Entdeckungsprozess behindert. Du kannst keine Lösung entdecken, wenn Du glaubst, dass Du die Antwort schon gefunden hast.
Was „lean thinking“ noch schwieriger macht ist, dass wir diesen analytischen, auf Beweisen basierten Entdeckungsvorgang mit der praktischen Realität balancieren müssen. Wir haben schon viele Menschen bereits davon überzeugt, dass wir das Problem kennen und eine Lösung haben. Im Endeffekt lässt sich 90% der Welt durch aufrichtige Begeisterung und Emotionen überzeugen – und nicht durch Beweise. Die Frage, „Ich bin mir nicht sicher, was Ihr Problem oder was die Lösung ist, aber können Sie ein paar Ideen für mich prüfen?” bedeutet „kann ich Ihre Zeit verschwenden?”. Wenn Du einen Kunden findest, der Deinen Entdeckungsprozess begrüßt, dann hast Du einen sogenannten Earlyvangelist gefunden. Es ist eine schwierige Balance, wenn Du Deinen Tag gleichzeitig als Verkäufer und als Wissenschaftler verbringen musst, aber es ist etwas, das wir machen müssen.
„Als Lean Startups müssen sich am Vorgang des Scheiterns Gefallen finden können.”- Patrick Smith
Lean Startups sind also eine mühsame, frustrierende, langweilige und einsame Arbeit mit einer Scheiterungsrate von 90%. Wenn man das so betrachtet stellt sich die Frage, wer in aller Welt das machen wollen würde? Es hat einige Jahre gedauert und es war ein schmerzvoller Weg, aber ich begrüße und genieße den Entdeckungsvorgang mittlerweile. Das ist meine Karriere, und etwas, das ich in den nächsten Jahrzehnten beherrschen möchte. Ich gehe jetzt davon aus, dass 90% meiner Ideen falsch sind, und suche nach den 10%, die richtig sind. Ich versuche mich mit Leuten wie zum Beispiel Patrick Smith und Scott Day zu umgeben. Sie kennen meine Grenzen und können mich darauf hinweisen, wenn ich mir selbst etwas vormache. Wir haben planmäßige Umschwenken-oder-Weitermachen (Pivot or Persevere) -Meetings. Dabei treffen wir schnelle Entscheidungen darüber, welche Projekte weitergeführt werden und was abgebrochen wird.
Ich habe mittlerweile ein besseres Gefühl dafür, was die größten Risikobereiche für neue Produkte sind. Ich bin jetzt in der Lage, neue Ideen innerhalb von Wochen zu durchlaufen – ein Vorgang, für den ich früher Monate brauchte. Aber am meisten habe ich mich darin verbessert, die Grenzen meines Verstandes zu akzeptieren und auch anzunehmen. Das ist eine Fähigkeit, die erlernt werden kann. Dazu musst Du 99.99% von dem ignorieren, was Du auf der Startup-Nachrichtenseite TechCrunch liest.
Erst glauben wir, dann rationalisieren wir.
Das sind schlechte Nachrichten für ein Lean Startup Unternehmen. Das bedeutet, dass unsere Eingebungen – die Startup Ideen, die wir um 4 Uhr morgens haben, die neuen Projekte, in die wir Herz und Seele stecken – wahrscheinlich falsch sind.
Glücklicherweise hat der Homo Sapiens mehrere hundert Jahre damit verbracht, ein Mittel zu erfinden, mit dem wir uns gegen unsere Neigungen wehren können: Die wissenschaftliche Methode. Und obwohl es bestimmt nicht perfekt ist, ist es das beste Mittel das wir haben, um gegen unsere Neigungen angehen zu können. Als Lean Startup-Unternehmer müssen wir die Prinzipien der wissenschaftlichen Methode befürworten. Wir brauchen jetzt NICHT unsere wissenschaftlichen Schulbücher, um Unternehmer zu sein. Stattdessen MÜSSEN wir unseren Verstand und unser kritisches Denkvermögen anwenden, um die Gültigkeit unserer Geschäftsmodell-Annahmen zu prüfen. Wir müssen Unterstützung für unsere Schlussfolgerungen finden, anstatt stets unsere vorgefassten Schlussfolgerungen zu rechtfertigen.
Zum Glück können wir von einer anderen Gruppe lernen, die versucht diese Art kritischen Denkvermögens auf verschiedene Lebensaspekte anzuwenden: Skeptiker.
Der schwierigste Dreh- und Angelpunkt ist, ein anderes DENKEN zu erlernen. Wenn wir nicht lernen skeptisch zu denken, dann ist jede Taktik und Strategie in unserem Lean Startup-Werkzeugkasten nutzlos. Wenn wir nicht dazu bereit sind, fundamentale Geschäftsmodell-Annahmen zu hinterfragen, dann ist der Entwurf eines Lean Canvas pure Zeitverschwendung. Das gleiche gilt für Customer Development Fragen, die zu den Antworten führen, die wir hören wollen. Wir können nicht umschwenken, solange wir dogmatisch an unseren Ideen hängen – es ist wirklich so einfach. Wie können wir dann also noch die Energie aufbringen, jeden Tag aufzuwachen und das Unternehmertum mit Begeisterung anzugehen. Und das wenn wir wissen, dass wir wahrscheinlich falsch liegen? Ich habe mittlerweile einen Vorgang gefunden, der bei mir funktioniert.
„Skeptizismus ist keine Meinung; es ist ein Vorgang.” – Dr. Michael Shermer
„Ich kann mit Zweifel und Unsicherheit leben. Ich finde, dass es viel interessanter ist zu leben ohne zu wissen, als Antworten zu haben, die falsch sein könnten.” – Richard P. Feynman
Ich begeistere mich mittlerweile nicht mehr für einzelne meiner Ideen. Ich begeistere mich für die Lösung von Problemen für bestimmte Märkte und über den Entdeckungsvorgang des Unternehmertums. Ich suche nach den 10% meiner Ideen, die richtig sind – das gelegentliche Anzeichen im Markt, dass ich richtig liegen könnte. Es ist aufregend zu wissen, dass ich die erste Person sein könnte, die ein neues Modell entdeckt hat! Ideen sind schwache, zerbrechliche Konzepte, die einfach zu verspotten sind. Es kann ein angsterregendes und einsames Unterfangen sein, entgegen aller Wahrscheinlichkeiten und Beweise daran festzuhalten.
Wenn Leute meine Hypothesen in Frage stellen, versuche ich die Unterhaltung so zu führen, als wären wir zwei rationale Menschen, die nach der Wahrheit suchen. Dieser Ansatz entwaffnet Kritiker und hilft mir, meine eigenen toten Winkel zu erkennen. Ich wache jeden Tag auf (genau wie Du oft um 4 Uhr morgens) und frage mich, „was ist mein größtes Risiko und befasse ich mich damit?” Dadurch wirkt das Unternehmertum viel weniger furchterregend. Selbst bei einem rigorosen Entdeckungsvorgang mit einem guten Markt und einem relevanten Problem, ist ein gewisser Grad des Scheiterns unvermeidbar. Erinnere Dich einfach daran – daraus lernst du noch mehr, was dich auf den Weg zum Erfolg mit einer anderen Startup Idee führt.
Das Erlernen von skeptischem Denken ist ein Vorgang in sich selbst, der jahrelang anhalten kann. Es erfordert auch die Verwendung von logischer Sprache. Hier sind einige Ressourcen, die dabei hilfreich sein können:
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